Dr. Magdalena Spaude arbeitet im Prorektorat für Lehre und Studium der Universität zu Köln (UzK) als Expertin für Open Education und digitales Lehren und Lernen. Im Rahmen dieser Stelle berät sie Lehrende und Studierende zum Thema Open Education und Open Educational Resources (OER) sowie offene Infrastrukturen der UzK (Edulabs).
OER fördern Qualität von Lehr-Lernmaterialien und Bildungsprozessen insgesamt
Offene und nicht-offene Lehr-Lernmaterialien: Wo ist der Unterschied?
Wenn mich eine interessierte Kollegin aus meiner Hochschule, die zwar ein bisschen was von Open Educational Resources (OER) gehört hat, aber noch nicht so wirklich viel darüber weiß, danach fragen würde, wie sich offene Bildungsmaterialien von nicht offenen unterscheiden, würde ich ihr erst einmal relativ kurz so antworten: „OER stehen unter einer offenen Lizenz. Das bedeutet, andere Menschen können OER nutzen, kopieren, verändern, verbreiten. Für nicht-offene Lehrmaterialien braucht man nach dem geltenden Urheberrecht die Einverständnis des Urhebers oder der Urheberin. Und die kann an ganz viele Bedingungen geknüpft sein, was die Nachnutzung unattraktiv macht.“
Da die Kollegin interessiert ist, könnte sie erzählen, dass sie gehört hat, dass OER die Qualität von Lehrmaterialien und Bildungsprozessen überhaupt fördern können. Sie fragt sich aber, wie das sein kann, wenn der Unterschied reiner urheberrechtlicher Natur ist. Mich würde diese kluge Frage sehr freuen und ich würde sie auf einen Kaffee einladen, um in Ruhe mit ihr darüber sprechen zu können. Erfreulicherweise ist das an der Universität zu Köln mein Job 😊. Meine Punkte, warum OER, die Qualität von Lehrmaterialien und Bildungsprozessen steigern können, wären folgende:
1/ OER können als Inspiration dienen
Lehrende, die gerade dabei sind, Lehrmaterialien für die eigenen Schüler*innen oder Studierenden vorzubereiten, können sich von OER, die ja frei zugänglich im Internet sind, inspirieren lassen. Wenn zum Beispiel meine Kollegin das Thema „Ökologische Determinanten der Habitatpräferenz von Fischottern (oder: Wo mag der Fischotter gern wohnen?)“ behandeln möchte, kann sie sich im Netz nach entsprechenden zugänglichen Materialien und Konzepten umschauen. Dabei kann sie versuchen, nach bestimmten Niveaustufen (hier Hochschule) zu suchen, um ein zu ihrer Studierendengruppe passendes Angebot zu finden. Sie kann aber auch nach schwierigeren oder einfacheren Darstellungen des Themas suchen, um sich Ideen zu holen, wie sie in ihrer Gruppe Binnendifferenzierung schaffen kann. Meine Kollegin kann bei den gefunden OER natürlich auch auf Aspekte des Themas stoßen, die sie sonst vielleicht nicht thematisiert hätte. Das kann sie zum Nachdenken anregen, warum es vielleicht doch sinnvoll wäre, den besagten Aspekt aufzunehmen.
Und neben inhaltlicher Inspiration kann sie sich natürlich auch didaktische Ideen abgucken. Wie stellen die anderen das Thema da? Welche Medien benutzen sie dafür? Welche Aufgaben stellen sie dazu? Und wie werden diese Aufgaben umgesetzt, z. B. wie werden Interaktivität und Lernanreize gesteigert? Offene Lehrematerialien ermöglichen also mindestens einen sehr basalen den Austausch von Ideen hinsichtlich der Inhalte und Formen von Lehrmaterialien, was die Qualität steigern kann und damit den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler bzw. Studierenden. Hier in Bezug auf den Fischotter und seine Umwelt.

2/ OER können angepasst werden
OER sind laut der offenen Lizenz veränderbar, das heißt anpassbar. Wenn meine Kollegin sich nicht nur von den im Netz gefundenen Materialien inspirieren lassen, sondern diese gleich weiterverwenden möchte, kann sie die OER modifizieren. Sie kann bspw. Ausschnitte von Videos benutzen, Texte ergänzen oder Bilder und Grafiken kombinieren. So kann sie besser auf die Bedarfe ihrer Zielgruppe eingehen oder die Unterrichtssituation besser abbilden. Durch Modifikationen ist, wie bereits oben angedeutet, eine Binnendifferenzierung möglich, also ein Eingehen auf individuelle Lernwege und Interessen. Vielleicht ist ein Studierender besonders daran interessiert, wie ein Fischotterhabitat in einer Küstenregion aussieht.
Des Weiteren können offene Lehrmaterialien durch die Möglichkeit zur Anpassung aktuell gehalten werden, sowohl hinsichtlich der Inhalte als auch der Medien und der Technik. Als weiterer Vorteil, der zur Qualitätssteigerung führen kann, ist auch die Übersetzbarkeit in andere Sprachen zu nennen. (Übersetzungen dürfen genau wie „normale“ Kopien nicht ohne die Erlaubnis der Urheberin / des Urhebers erfolgen.) Lehrmaterialien in der Sprache der Lernenden erleichtern gegenüber einer Fremdsprache die Zugänglichkeit und damit den Lernprozess. Als Vorteil können aber Aspekte eines Themas in den ursprünglich fremdsprachigen Texten vorkommen, die sonst nicht vorgekommen wären. Der Horizont der Lernenden wird so erweitert.
3/ OER ermöglichen Feedback
Im Optimalfall würde meine Kollegin nach der Nachnutzung fremder Materialien zwei Dinge tun:
- die Materialien, die sie modifiziert hat, veröffentlichen und
- ein direktes Feedback zu den ursprünglichen Materialien geben.
Sie könnte z. B. auf zusätzliche Inhalte hinweisen, weitere Ideen für Aufgaben und Methoden nennen, beschreiben, was mit ihren Studierenden besonders gut funktioniert hat oder Ideen zur Steigerung der Barrierefreiheit nennen. Alle anderen Lehrenden, inklusive der Urheber*innen, könnten das Feedback in ihren Unterricht übernehmen und damit eventuell verbessern.
Solch eine Feedbackkultur fördert die Zusammenarbeit und den Wissensaustausch zwischen Lehrkräften, Institutionen und sogar Ländern. Durch den kollektiven Beitrag vieler Expert*innen kann die Qualität der Materialien kontinuierlich verbessert werden, und innovative Lehrmethoden und Best Practices können leicht verbreitet werden.
4/ OER fördern Kooperation und im besten Fall Partizipation und Innovation
Die bisher genannten Punkte können asynchron und ohne persönliche Kommunikation auskommen. Eine Qualitätssteigerung von Lehrmaterialien und Bildungsprozessen kann aber insbesondere dort gelingen, wo Lehrende, z. B. aus unterschiedlichen Institutionen oder sogar Ländern, bereits bei der Erstellung der Materialien und der Planung des gesamten didaktischen Szenarios kooperieren. All ihre Kompetenzen manifestieren sich in solch einem „Bildungsprojekt“. Kooperation und Kommunikation gelten nicht zu Unrecht als so genannte Future Skills. Diese kann man auch schon bei den Studierenden fördern, indem diese bei der Gestaltung der Unterrichtsmaterialien oder Unterrichtskonzepte mitarbeiten und damit zusätzlich ihre Perspektiven, Ideen und Bedarfe einbringen. Durch diesen partizipativen Ansatz wird aus Open Education Resources Open Education.
5/ OER sind nachhaltig
Ein Qualitätsmerkmal kann auch die Nachhaltigkeit sein. Eine offene Veröffentlichung steigert die Nachhaltigkeit von Lehr-Lernmaterialien. Denn OER sind auf zugänglichen Repositorien gespeichert, wo sie lange für alle verfügbar sind. Sie wurden nicht als Einwegartikel produziert, z. B. für einen einzigen Kurs an einer einzigen (Hoch-)Schule. Zudem können durch Nutzung von offenen Lehrmaterialien Ressourcen gespart werden. In erster Linie ist es die Arbeitszeit von Lehrenden und damit Geld. Wenn Zeit von Lehrenden gespart wird, dann vermutlich auch Energie, z. B. die des Notebooks.
Fazit
Ich hoffe, dass meine Kollegin diese Ausführungen spannend findet, mir weitere Fragen stellt und vielleicht mit ihren Kolleginnen und Kollegen über OER und Open Education spricht. Und im Optimalfall sucht sie nach OER zum Thema „Wo mag der Fischotter wohnen“, passt sie für ihre Studierenden an, veröffentlicht die neuen Lehrmaterialien und kooperiert mit anderen Lehrenden und vielleicht sogar Studierenden, um deren Kompetenzzuwachs es ja geht.